„Sollten wir nicht der Polizei mitteilen, daß der Typ von hier ist? Falls du es vergessen hast, Beweismittel zurückzuhalten ist ein Verbrechen."
„Gut. Sagen wir es ihr." Vicki tat, als telefoniere sie. „Hallo? Morddezernat? Der Unbekannte, den Sie in der Leichenhalle haben, der ohne Hände - er kommt hier aus der Gegend. Woher ich das weiß? Er spukt bei einem Kumpel von mir. Der Kumpel ist Vampir und hat das T-Shirt erkannt, das der Geist trägt." Vicki legte den imaginären Hörer auf und schnaubte. „Lieber nicht. Dann sollten die Kollegen sich um die Tätowierung kümmern." Sie reichte Celluci eine Seite mit kopierten Fotos.
Mike seufzte, schaltete ein Licht ein und prüfte nun selbst die Bildersammlung. „Sie haben ihn übel zugerichtet. Hat Henry ihn anhand der Tätowierung identifiziert?"
„Das habe ich ihn nicht gefragt."
In Vickis Ton lag der Befehl, nicht zu fragen warum nicht, und so gab Mike kommentarlos die Seite zurück. „Die Tätowierung sieht aus wie Marke Eigenbau, auf der Straße gemacht. Gibt nicht viel her, woran man sich halten kann. Was ist die dritte Sache?"
„Die Kollegen sollten sich in der Unterwelt umtun."
„Auf der Suche wonach?"
„Warum, meinst du denn, hat man ihm die Hände abgehackt?"
Mike zuckte die Achseln. „Irgendwo sind seine Fingerabdrücke gespeichert."
„Dann doch aber auch mit Foto."
„Aber nicht so." Celluci breitete die Kopien vor sich aus. „Für so ein Gesicht spuckt kein Computer eine ID aus, und die Durchsicht von Verbrecheralben dauert unendlich lange. Dafür hat niemand Zeit, und so schiebt man das immer ganz unten auf die Prioritätenliste."
„Ich glaube ja, daß man ihm die Hände abgehackt hat, weil man sie gebrauchen konnte."
„Die Fingerabdrücke eines Toten?"
„Das ist eine Möglichkeit, und das organisierte Verbrechen paßt auch zu deiner Theorie mit dem Organdiebstahl."
„Hey, das ist gar nicht meine Theorie!" protestierte Celluci. „Ich habe nur wiedergegeben, was ich im Fernsehen gesehen habe."
„Das paßt alles zusammen. Die Mafia sucht immer nach neuen Mitteln und Wegen, Geld zu machen. Sie stellen Körper zur Verfügung, damit sich die Reichen Organe für Transplantationen kaufen können, und mit den Händen veranstalten sie dann ihre eigene perverse Version von Müllreduzierung, Müllwiederverwertung und Müllumwandlung: Sie präparieren Waffen, mit denen sie jemanden umlegen wollen, mit den entsprechenden Fingerabdrücken. Das würde sogar den Fundort der Leiche erklären: Die Hafenarbeiter sind alle, wirklich alle in der Gewerkschaft, lassen niemanden da arbeiten, der nicht organisiert ist, und die Gewerkschaften haben schon immer mit der Mafia zusammengearbeitet."
„Wie bitte? Jimmy Hoffa ist ab nach Vancouver, als er damals spurlos verschwand?" Celluci warf die Papiere wieder aufs Bett und fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar. „Ganz schön weit hergeholt!"
„Gut, vergiß das mit den Gewerkschaften. Aber ich behaupte immer noch, die einfachste Erklärung ist in der Regel auch die richtige Erklärung."
„Du hältst deine Theorie für eine einfache Erklärung?" wollte Celluci in einem übertrieben ungläubigen Ton wissen, der nur zum Teil gespielt war. „Falls es dir entgangen sein sollte: Es gibt nur eine Leiche. Damit kann man nicht viel Geld machen."
„Es wurde nur eine Leiche gefunden, Mike. Entweder fangen sie gerade erst an und haben die Frage der Entsorgung noch nicht wirklich im Griff, oder der Typ hier ist in die falsche Strömung geraten. Wie dem auch sei: Einen so komplizierten Apparat baut niemand einer einzigen Niere wegen auf."
„Falls die fehlende Niere irgend etwas mit dem Mord zu tun hat und nicht reiner Zufall ist. Was ein Zufall ist, weißt du doch noch, oder?"
Vicki schenkte dem Einwand keine Beachtung. „Außerdem müssen wir ja irgendwo anfangen, und wir haben sonst verdammt noch mal nichts in der Hand. Mit der Unterwelt befasse ich mich morgen. Wenn man sich ansieht, wie sehr sich die Einwandererrate aus China in letzter Zeit erhöht hat, dann stehen die Chancen nicht schlecht, daß zumindest eine der Triaden auch in Vancouver operiert."
„Leider Gottes kann ich dagegen nichts vorbringen ..."
Vicki verzog spöttisch die Lippen: „Armer kleiner Junge."
„Aber trotzdem finde ich, das sind alles Sachen, die eigentlich die Polizei erledigen sollte. Warum überlassen wir sie nicht den Kollegen? Du weißt so gut wie ich, was die Beamten davon halten würden, wenn sich eine Privatdetektivin - noch dazu eine, die nicht von hier ist - und ein Bulle auf Urlaub, der auch nicht von hier ist", fügte er eilig hinzu, als er sah, wie Vickis Augen sich silbern färbten, „in ihre Angelegenheiten mischen. Typen von außerhalb, die auftauchen und ihren Fall aufmischen."